Anaïs Meier: Mit einem Fuss draussen, 2021

Skurrile Suche

Es gibt Bücher, bei denen es einem die Sprache verschlägt, man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Man wird in eine abstruse, skurrile und gleichwohl berührende Welt katapultiert, die nahe und doch so fremd ist. Der Debütroman von Anaïs Meier «Mit einem Fuss draussen» ist ein solches Buch, das packt, irritiert und hochgradig fasziniert. 

Es ist die Geschichte des Sozialhilfeempfängers Gerhard. Er lebt am Rande der Gesellschaft in einer Schweizer Stadt, geht jeden Tag an den Egelsee und macht den Flamingo, eine Yoga-Übung. Er steht mit einem Fuss im Wasser und befindet sich so im Gleichgewicht mit sich, dem Stadtpark und dem Universum. Er beobachtet die heruntergekommenen Mitglieder des Vereins Anglerfischer Schweiz, die ein Lokal am See betreiben, freundet sich mit der übergewichtigen Parkwächterin Blüehler an und spricht mit der Seeente. Eines Tages entdeckt er einen abgetrennten Fuss, der seine Welt aus dem Lot bringt. Er beschliesst, den Fall zu lösen, ernennt sich zum Kommissär und will auf diese Weise den Weg zurück in die Gesellschaft schaffen.

Anaïs Meier hat ein Gespür für surreale, fast schon dadaistische Szenen und schrullige Gestalten. Sie lässt zugedröhnte Jugendliche, heruntergekommene Alkoholiker, schmierige Lokaljournalisten, überkandidelte Lokalpolitiker, unfähige Polizisten, nachtwandernde Frauen oder einen Graureiher in urkomischen Szenen auftreten. Überdrehte Beschreibungen, slapstickartige Szenen und wortgewaltige Bilder sorgen für ein fulminantes Lesevergnügen.

Vor allem nähert sich die Autorin ihrem Hauptdarsteller Gerhard mit Respekt und Liebe an. Er offenbart als ehrliche Haut seine grösseren und kleineren Schwächen, beschreibt seinen Absturz ins Whiskyland und wie er beschloss, wieder herauszukommen. Als Einsiedler lebt er in einer Sozialwohnung, seiner Klause, driftet in die Vergangenheit ab und beschreibt die Welt, wie er sie sieht und wahrnimmt. Klar, hoffnungsvoll und leicht verschoben. Trotz Rückschlägen gibt Gerhard nie auf, rappelt sich auf und löst den Fall. Zum Kommissär reicht es am Schluss doch nicht ganz, aber Gehard darf sich auf ein Happy End freuen: «Und doch, als Rita ihre weiche Hand auf meine legt, fühle ich mich zum ersten Mal zu Hause, obwohl ich ja gar nie woanders war als hier.» Welch schöne Erkenntnis, welch beglückende Lektüre.

Anaïs Meier: Mit einem Fuss draussen. Verlag Voland & Quist. 128 S., Fr.  24.50

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  • Lebensdaten: 1984 (Bern)
  • Lesetipps: «Über Berge, Menschen und insbesondere Bergschnecken.» Kurzgeschichten. mikrotext, Berlin 2020
  • Fussnoten: Anaïs Meier studierte Film und Medien an der Filmakademie Baden-Württemberg und Literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut.  «Mit einem Fuss draussen» ist ihr Debütroman, für den sie 2022 den Förderpreis für Komische Literatur der Stiftung Brückner-Kühner erhielt. In der Begründung heisst es: «Anaïs Meier überrascht als neue, ja: unerhörte Stimme literarischer Komik. Ihre Prosa ist künstlerisch bestechend, poetisch dicht und doch leicht, lustig und zugleich ernsthaft.»
  • #Humor, Identität, Heimat