Ariane Koch: Eine Hölle, die in Trümmern liegt, 2021

Man kann Bücher dann lesen, wenn alle sie lesen. Man kann sie aber auch lesen, wenn sie aus den Schlagzeilen verschwunden sind. Vielleicht versteht man dann den Hype nicht mehr, den sie verursacht haben. Oder man ärgert man sich, dass man sie nicht schon früher gelesen hat. Bei Ariane Kochs Roman «Die Aufdrängung», hofft man vor allem, dass das Buch nicht in Vergessenheit gerät. Der Rummel war gross, als es 2021 erschien, es erhielt Literaturpreise, die Autorin wurde gefeiert. Zurecht, nur sollte das Buch nach dem Ruhm, den es bekommen hat, nun auch den Rang bekommen, der ihm gebührt: den eines Klassikers der Schweizer Literatur.

«Die Aufdrängung» ist ein Buch, von dem man nicht mehr loskommt. Eines, das man nicht fertig gelesen hat, wenn man es gelesen hat. Es liest sich weiter fort im Kopf. Ariane Koch erzählt von einer jungen Frau. Sie lebt in einer Stadt, aus der sie eigentlich fortwill. Aber das will sie wahrscheinlich eben doch nicht, denn die beste Rache, findet sie, sei es doch, nie wegzugehen, sondern nur immer so zu tun, als ob man weggehe. Rache hat sie im Sinn, irgendwie. Vielleicht aber auch nicht. Sie lebt in einem Haus, aus dem sie jederzeit vertrieben werden könnte. Von der eigenen Familie übrigens, und sie stellt sich vor, wie sie dann schwimmen wird, im Teich auf den Fischgräbern. Die toten Fische schwimmen schon im Aquarium.

Die Frau hat einen Gast mit Pinselfingerhaaren, der sich eingenistet hat. Im Leben der Frau, im Haus, das nicht das ihre ist, in der Kammer mit den Staubsaugerrüsseln, die man von Zeit zu Zeit bändigen muss (aber dabei muss man darauf achten, dass man ihre Gunst nicht verliert). Wer er ist, weiss niemand. Ein Mensch, ein Tier, vielleicht ein Insekt, manchmal dies, manchmal das, aber am Ende doch nichts von allem. Vielleicht hat die Frau ihn ins Haus gebeten, möglicherweise ist er eingedrungen, sie möchte ihn loshaben, aber was, wenn sie ohne ihn nicht leben kann? Manchmal ist er demütig, manchmal unverschämt. Bisweilen rührend, dann wieder wie ein Alb, der seiner Gastgeberin auf der Seele sitzt.

«Die Aufdrängung» ist die Geschichte einer Obsession, die Fantasie einer Hölle, die in Trümmern liegt. Sogar die Teufel haben sie verlassen, es gibt keine Dämonen mehr ausser uns selbst. Und das Böse ist dort, wo niemand es vermuten würde. Ariane Koch erzählt das in einer nüchternen, präzisen Sprache. Und mit einer Ironie von bezaubernder Abgründigkeit.

Ariane Koch: Die Aufdrängung. Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 179 S. etwa Fr. 21.90

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  • Lebensdaten: 1988 (Basel)
  • Fussnoten: Ariane Koch studierte in Basel bildende Kunst, Theaterwissenschaften und Philosophie und absolvierte an der Hochschule der Künste in Bern ein Studium im Bereich Literarisches Schreiben. Sie verfasste Texte für Theater und Performances und ist Mitglied der freien Theatergruppe GKW (Moïra Gilliéron, Ariane Koch, Zino Wey), mit der sie «Projekte zwischen Metaphysik und poetischer Sciencefiction» realisiert, welche «meist vom Verschwinden, von Menschlichkeit und der zukünftigen Vergangenheit» handeln.
    «Die Aufdrängung» ist Ariane Kochs erster Roman und wurde u.a. mit dem Schweizer Literaturpreise 2022 ausgezeichnet.

    #Ich, Fremde, Identität