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POSTKARTEN BUCHTIPP: Eine aussergewöhnliche Frau
Der Oltner Schriftsteller erstaunt immer wieder von Neuem. Wie es ihm gelingt, Persönlichkeiten aus der Vergangenheit ein zweites Leben einzuhauchen, ihre Geschichten so real, so nah, so berührend zu erzählen. Diesmal nimmt uns die Baslerin Susanna Faesch (1844-1921) an die Hand, wir begleiten sie als junges Mädchen in ihrer Heimatstadt, erleben, wie sie dem «Wilden Mann» am Basler Rheinfest mit dem Zeigefinger ein Auge aussticht. Das bürgerliche Elternhaus ist eng und streng. Der Vater Johann Lukas Faesch, ein ehemaliger Söldner, langweilt zusehends die Mutter, die dessen Kriegsfreund, den deutschen Arzt und Revolutionär Karl Heinrich Valentiny, in die USA nach Brooklyn folgt. Die Mutter nimmt die Tochter mit, die Söhne lässt sie beim Vater in der Schweiz zurück.
Dort entdeckt Susanna die Malerei, heiratet einen Schweizer Juristen, mit dem sie es nicht lange aushält. Aus einer kurzen ausserehelichen Beziehung stammt der Sohn Christie. Susanna, geschieden und alleinerziehend, nimmt einen neuen Namen an, Caroline Weldon. Christie wächst heran, Indianer üben eine Faszination auf ihn aus, die auf die mittlerweile wohlhabende Susanna übergreift. Diese wird so gross, dass die beiden ihre Zelte in New York abbrechen und ins Territorium der Lakota-Indianer reisen und Sitting Bull begegnen.
«Susanna» ist ein fabelhafter Roman, erzählt vom ebenso fantasievollen wie intelligenten Fabulierer Alex Capus. Er bettet die biographischen Episoden, die er mit seiner Fantasie reich ausschmückt, in das Zeitgeschehen, ohne belehrend zu wirken. Wir tauchen ein ins Kleinbürgertum, brechen auf nach New York, das von der industriellen Revolution, der Elektrifizierung, dem Bau der Brooykln Bridge und der Flut an Neuankömmlingen erfasst wird, und entdecken die Geistertanz-Bewegung der Indianer. Das alles erzählt Capus mit viel Suggestivkraft, so dass wir die Hand von Susanna nicht mehr loslassen, sondern nur noch weiterlesen möchten.
Alex Capus: «Susanna». Hanser Berlin 2022, 286 S., um Fr. 36.–