POSTKARTEN BUCHTIPP: Surreales Raubtier

Plötzlich kippt das Normale. Das Stinkweilige wandelt sich zur Rebellion, das Reale wird zum Surrealen, die Frau zum Raubtier. Kleo lebt in einer Wohnung beim Lochergut in Zürich. Sie arbeitet als Lehrerin, ist desillusioniert über das Desinteresse ihrer Schülerinnen und Schüler, erhält zu ihrem Geburtstag von ihren Eltern eine immergleiche Amarillys und trennt sich von ihrem Freund Ernst. Um sich vor der Leere zu schützen, stürzt sich Kleo in Netflix-Serien und die Tinder-Welt. Die kleinen Veränderungen um sie herum bemerkt sie zunächst nicht. Ihre Topfpflanze beginnt zu leben und wuchert, die benachbarten Hochhäuser kommen ihrem Balkon immer näher, tote Fische schwimmen in der Limmat. 

Auch Kleo ändert sich. Ihre Zähne werden spitzer, sie färbt ihre Haare gelb, nach einem Sonnenbrand wachsen Flechten auf ihrer Haut, sie wandelt nachts durch die Strassen, beobachtet und wird zur«Leoparda». Wie eine Raubkatze – oder ist Kleo bereits eine Raubkatze? – pirscht sie sich an ihre Eltern, Freundinnen, Lover, den Ex und ihre Schüler heran. Sie demaskiert sie. Dabei zelebriert sie ihr neues Leben und ihre Handlungen auf den sozialen Medien. Aus dem unscheinbaren, grauen Mäuschen wird ein weiblicher Leopard, eine bewunderte Heldin und Influencerin mit einer stark wachsenden Community.

Anja Schmitter legt mit «Leoparda» einen mutigen, selbstbewussten Debütroman vor. Subtil und eingängig beschreibt sie Kleos Befreiung. Aus dem eintönigen Dasein wird ein actionreiches Abenteuer. Alles verrückt sich, die Protagonistin, die Stadtlandschaft, die Werte und Massstäbe. Das scheinbar Normale löst sich auf – auf eine faszinierende und eben surreale Art und Weise.

Anja Schmitter: Leoparda. Lenos Verlag, S. 226, etwa Fr 26.50.

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