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Der perfekte Roman
Manchmal geht alles schief. Und zwar auf einmal. In Charles Lewinskys neuem Roman «Täuschend echt» ist es ein Werbetexter, der diese Erfahrung macht. Was für ihn soeben noch selbstverständlich war, ist plötzlich weg: Seine Freundin Sonja verlässt ihn, nicht ohne seine Kreditkarte mitsamt dem Geheimcode mitzunehmen. Nach Bali. Weil sie ihn zu alt findet. Und vor allem zu langweilig. Das einzige, was sie in der gemeinsamen Wohnung zurücklässt, ist ein Terrarium mit einer Schlange.
Einer Kornnatter, wenn man genau sein will – was zumindest insofern von Interesse ist, als das Vieh tiefgefrorene Mäuse verzehrt, die im Kühlschrank gelagert werden müssen. Dem Grauen sind keine Grenzen gesetzt. Aber auch im Job läuft es nicht rund. Der Werbetexter (Spezialgebiet Müeslireklame) droht überflüssig zu werden. Weil: KI. Die Algorithmen machen das, was er tut – natürlich nicht so, wie er. Aber genauso gut. Und schneller. Billiger sowieso. Das zehrt am Selbstbewusstsein. Und wird zum existenziellen Problem.
Er verliert seinen Job. Aber so leicht lässt er sich nicht unterkriegen. Ein bisschen spielen mit der Macht, die einen überrannt hat, kann nicht schaden. Der Mann beginnt mit ChatGPT zu plaudern, stellt Fragen, bekommt Antworten. Und hat eine Idee: einen Roman schreiben. Genauer: einen Roman schreiben lassen. Von KI. Über einen Investor kommt er zu einem Verlag, der «wahre Geschichten» sucht. Aufrüttelnde Geschichten. Das Elend der Welt, hautnah.
KI arbeitet grandios. Der Roman «Angst!» wird zum Bestseller. Der perfekte Roman? Vielleicht, wenn es das denn gibt. Er macht den arbeitslosen Werbetexter jedenfalls zum gefragten Autor. Und der bekommt Schwierigkeiten. Die Sache darf nicht auffliegen, Sonja weiss mehr, als gut ist. «Täuschend echt» ist eine locker-turbulente Satire über KI, echt und unecht und die Frage, was Literatur eigentlich ist. Geschrieben von Charles Lewinsky. Aber nicht allein: ChatGPT und neuroflash haben mitgeschrieben. Wenigstens ein bisschen.
Charles Lewinsky: Täuschend echt. Roman. Diogenes-Verlag, Zürich 2024. 352 S., etwa Fr. 37.-.
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Im Buch «99 beste Schweizer Bücher» ist Charles Lewinsky mit «Gerron» (2011) vertreten, mit «Melnitz» (2006) wurde er bekannt.