POSTKARTEN BUCHTIPP: Schwarz-weisse Augenblicke

Schwarz-weisse Augenblicke

Einen unglaublichen Moment festhalten, damit er nicht vergeht, damit wir ihn mit jemandem teilen können – es ist nahezu unmöglich. Das Gefühl zerrinnt zwischen den Fingern, Worte erfassen den Augenblick nicht vollständig, die Sinne scheitern. Das sind Moment für das Auge eines aussergewöhnlichen Fotografen und seiner Kamera: Ihr Zusammenspiel schafft künstlerische Resonanz. Einer dieser legendären Fotografen ist Ernst Scheidegger (1923-2016), an dessen 100. Geburtstag ein Bildband und eine Fotoausstellung im Zürcher Kunsthaus (bis 21.1.2024) erinnern.
Tiefes Tintenschwarz, darin Lettern in klarstem Weiss «Ernst Scheidegger. Fotograf» zieren das Cover, dazu luftige Wirbel des sich drehenden Karussells. Magische «Chilbi»-Musik klingt vermeintlich im Hintergrund. Die Buchdeckel bergen weniger bekannte Fotos von Scheidegger, der nicht nur ein ehemaliger Magnum-Fotograf war, sondern auch beeindruckende Reportagen veröffentlichte und subtiler Weggefährte vieler Künstler wurde. Seine legendäre Freundschaft zu Alberto Giacometti und die daraus hervorgegangene fotografische Begleitung des künstlerischen Entstehungsprozesses sind sicher das berühmteste Beispiel. Doch da waren andere, Freunde, Freundinnen, Weggefährten wie Varlin oder Max Bill. Fotos wie auch die Texte im Buch zeugen davon. Scheidegger suchte nie Glamour, er erfasste das Objekt, einen Ausschnitt, oft in schwarz-weiss, nahm sich zurück und brachte die Motive, Landschaften oder Menschen ohne Geschwätzigkeit und mit souveräner Gelassenheit zum Erzählen. Diese lebendige, mal verhaltene, mal verschmitzte Erzählkunst spricht aus Scheideggers Fotografien. 

Ernst Scheidegger: Fotograf
Hrsg. Stiftung Ernst Scheidegger Archiv mit Beiträgen von Tobia Bezzola, Alessa Widmer, Philippe Büttner, Helen Grob; Verlag Scheidegger & Spiess 2023, 248 Seiten, 12 farbige und 168 s/w-Abbildungen, 23 x 30 cm

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