POSTKARTEN BUCHTIPP: Pakt mit dem Lichtträger

Dieses Buch polarisiert: Man liest «Lucifer» fasziniert von Anfang bis Ende oder man wirft es nach dem ersten Kapitel entnervt in die Ecke, man ist begeistert von den Wortspielen, der Kunstsprache und überdrehten Formulierungen oder man bezichtigt den Autor Gion Mathias Cavelty der Hochstapelei, man erblickt eine Sternstunde der Literatur oder ist verärgert über die Mischung aus Trash oder Nonsense. 

Zugegebenermassen, wer sich auf den Roman einlässt, muss loslassen können von erzählerischen oder sonstigen Konventionen. Der Leser oder die Leserin muss sich treiben lassen, die Kontrolle des Texts in die Hände von Cavelty legen und ihm vertrauen, dass alles irgendwie gut kommt. Dafür wird er oder sie mit höchst skurrilen, satirischen und humoristischen Einfällen belohnt.  

Wir befinden uns im mittelalterlichen Chur mitten in einer Schlagerparade und einem folgenreichen Ereignis. Der Besitzer der Calanda-Brauerei, Don Promillo, fischt am 11.11.1111 und 11.11 Uhr ein Findelkind namens Nogg aus dem Martinsbrunnen. Dieses wächst heran, wird ausgenutzt und begibt sich auf eine abenteuerliche Reise, auf welcher er zwischen Zeiten und Orten pendelt, zum Ritter Ard de Saint Martin geschlagen wird und nach Amerika gelangt. Auf seinem Weg begegnet er grotesken Ortschaften und Personen und landet schliesslich im Cyber-Jerusalem.

Es gibt noch eine zweite Reise: die Initiationsreise eines Toren zur Erleuchtung und zum Licht. Der Autor Cavelty ist erklärtermassen Freimaurer, kennt sich also aus mit Ritualen und Zeremonien, die eine wichtige Rolle in «Lucifer» spielen. Kein Wunder, mischt er mit grosser Fabulierlust Philosophisches mit Religiösem und Phantasie. «Lucifer» ist Satire, Schelmenroman oder vielleicht eben doch ein grosses, aber faszinierendes Luftschloss.

Gion Mathias Cavelty: Lucifer. Lectorbooks 2022. S. 176, Fr. 28.-.

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