POSTKARTEN BUCHTIPP: Schonungslos böse, unendlich zärtlich

Schonungslos böse, unendlich zärtlich

Am schwierigsten ist es, mit dem Aufhören anzufangen. Sagt Isolde Schaad. Und meint damit zum Beispiel aufhören, die Haare zu färben, Kalorien zu zählen oder von Wut triefende Leserbriefe zu schreiben. Oder aufhören, von verschneiten Landschaften zu träumen, die man in Schneeschuhen durchquert. Aufhören mit dem Träumen also? Mit dem Aufhören anfangen, weil man sich der Endlichkeit seiner Möglichkeiten bewusst ist? Mit dem Anfangen aufhören, weil man sich mittlerweile gut genug kennt, um zu wissen, dass längst nicht jeder Anfang, über die Anfänge hinaus gedeiht? Und weil jedem Anfang, der ein Anfang bleibt, etwas leicht Peinliches anhaftet?

Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Die Erzählungen, welche die Grande Dame unter den Schweizer Erzählerinnen im neuen Band «Das Schweigen der Agenda» vereint, sind zerklüftet, auch wenn sie scheinbar schlicht daherkommen. Man erschaudert, wie schonungslos Isolde Schaads Blick auf die Gesellschaft und auf sich selbst ist, obwohl sich das Ganze ganz sanft anhört. Und am Ende vielleicht sogar von unendlicher Zärtlichkeit ist.

Sechs Erzählungen, unterbrochen von knappen, bitterbösen Artikeln aus dem «Grossen Duden. Neudeutscheste Fassung», in denen Schaad zum Beispiel den grassierenden Genderwahn karikiert. In den Erzählungen geht es zum Beispiel um den Tod von Sophie Taeuber, den alten Philip Roth, die verblassenden Illusionen einer Gruppe von Journalistinnen und Journalisten. Oder um eine Tochter, die nach dem Tod ihrer Mutter auf die Spur eines Lebensgeheimnisses stösst. Sie wird sich bewusst, dass ihre Mutter vor der Ehe mit dem Vater ein Leben hatte, von dem nie die Rede war. Dass da etwas war, was sorgsam beschwiegen wurde, noch immer beschwiegen wird. Dass manche Geheimnisse Geheimnisse bleiben, auch oder gerade in Familien. Und dass das vielleicht sogar gut so ist.

Isolde Schaad: Das Schweigen der Agenda. Geschichten vom Innehalten und Aufhören. Limmat-Verlag. 160 S., Fr. 30.-

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