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Zwischen Glanz und Leere

Bösartigkeit kann eine faszinierende Färbung haben. Sie raubt die Sprache, fügt Schmerzen zu und nährt ein Gefühl der Überlegenheit, der Genugtuung. Doch gleichzeitig isoliert sie auch. Diese Erfahrung macht die 58-jährige Matylda. Nach einem luxuriösen Leben und einer Scheidung erlangt sie ein beträchtliches Vermögen, das sie ausgibt. In ihrer opulenten Wohnung am Schanzengraben in Zürich erhält ihre Stiftung Anfragen von Kulturschaffenden, die um finanzielle Unterstützung für ihre teils seriösen, meist aber skurrilen Projekte bitten.

Matylda, gefangen in ihrem goldenen Käfig, wird zunehmend schwächer. Ihre bissigen und spitzzüngigen Kommentare zehren an den Kräften. Zusätzlich leidet sie unter Altersanorexie, greift vermehrt zu Alkohol und bricht schliesslich zusammen. Erst als sie widerstrebend einer Selbsthilfegruppe beitritt, erkennt sie, dass hinter ihrer makellosen Fassade Abgründe lauern. Sie beschliesst, ihr Heimatland Polen zu besuchen und sich ihrer Kindheit sowie ihrer gescheiterten Liebe zu stellen – jedoch kann sie ihre Schärfe, auch wenn sie gelegentlich berechtigt sein mag, nicht zügeln.

Die Journalistin und Schriftstellerin Julia Kohli hat mit ihrem Roman «Das Leben ist die grösstmögliche Ruhestörung» eine eindrucksvolle Milieustudie geschaffen. Wir tauchen ein in das scheinbar perfekte Leben einer wohlhabenden Kunstmäzenin, die sich immer gelangweilter durch Galerien, Vernissagen und Zürichberg-Villen bewegt. Doch ihr äusseres Erscheinungsbild schützt sie nicht vor dem emotionalen und menschlichen Zusammenbruch. Kohli gelingt es, mit packendem und einfühlsamem Schreibstil etliche humorvolle und geistreiche Elemente einzustreuen, die das Buch zu einer erfrischenden Störung der Ruhe machen.

Julia Kohli: Das Leben ist die grösstmögliche Ruhestörung. Lenos Verlag 2024. 394 S., etwa Fr. 30.-

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