POSTKARTEN BUCHTIPP: Die Hölle auf Erden

Die Hölle des Lebens

Die Welt sei eine «Hölle, da Gott inwohnet», hat Johann Georg Hamann einmal gesagt. Der namenlose Protagonist von Ludwig Hohls nachgelassener Novelle «Die seltsame Wendung» würde ihm wahrscheinlich zustimmen. Eine Hölle vor allem, würde er sagen, in der sich Gott so gut verbirgt, dass er nicht mehr zu erkennen ist.

«Es lebte in Montparnasse unter vielen sonderbaren Malern einer, der war sonderbarer als die anderen und eine ungestüme Kraft zersplitterte die Linien seines Gesichtes», heisst es am Anfang dieser seltsamen Erzählung. Ludwig Hohl, damals Mitte zwanzig, hat sie um 1930 in Paris geschrieben, aber zeitlebens nie veröffentlicht. Später hat er sie passagenweise zerstört, indem er einzelne Seiten aus dem Schreibmaschinenskript herausriss.

Rund neunzig Jahre nach seiner Entstehung liegt das Stück nun vor, sorgfältig ediert von Anna Stüssi und trotz der Lücken im Text gut lesbar. Ein so kunstvoll wie abgründig delirierender Text, schwebend zwischen Albtraum, Vollrausch und pathetischem Weltschmerz. «Die seltsame Wendung» erzählt von einem Maler, der scheitert. Am Alkohol, an den eigenen künstlerischen Ambitionen, an den Forderungen des Kunstbetriebs.

Der namenlose Künstler, in dem Hohl seine eigenen Erfahrungen als freier Schriftsteller in Paris verarbeitet hat, treibt wie ein Schiffbrüchiger durch die Strassencafés und Bars in Montparnasse. Er säuft, leidet an seiner inneren Einsamkeit und ringt um ein Werk, das sich ihm immer wieder entzieht. Sein Leben verläuft von Glas zu Glas, von Geldschein zu Geldschein, der ihm sein Mäzen Schwänzel zusteckt. Er ist ein Paria, nirgends gern gesehen, vor dem sich die Leute in Acht nehmen. Und der am Ende vielleicht doch so etwas wie Erfüllung findet.

Ludwig Hohl: Die seltsame Wendung. Novelle. Suhrkamp-Verlag 2023. 160 S., Fr. 33.90.
Hrsg. Magnus Wieland, Nachwort von Anna Stüssi. 

👉️📕In «99 beste Schweizer Bücher» ist Ludwig Hohls «Bergfahrt» aufgeführt.

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