POSTKARTEN BUCHTIPP: Radikal einzigartig

«Vor ihnen steht», begann Mariella Mehr ihre Rede anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an der Universität Basel, «eine ‹verstimmbare, haltlose, geltungsbedürftige und moralisch schwachsinnige Psychopathin mit neuro­tischen Zügen und einem starken Hang zur Selbstüber­schätzung, was ihr Wunsch, Schriftstellerin zu wer­den, beweist. In Erwägung ihrer hereditären Belastung – die Probandin gehört zur dritten Generation einer degenerierten Vagantenfamilie – kann eine dauernde Einweisung in eine Psychiatrische Klinik nicht ausge­schlossen werden›.» Mariella Mehrs Biografie, als jenisches Kind der Familie entrissen, um sie dem schädlichen Einfluss zu entziehen, aufgewachsen und misshandelt in Pflegeeinrichtungen, auch ihr eigener Sohn wird von ihr getrennt, ist brutal und zeichnet sie fürs Leben. 

Das Schreiben und die Sprache werden für die Schriftstellerin und Aktivistin für die Rechte der Jenischen zu einem Raum der Freiheit. Sie erschrieb ihn sich schonungslos, angriffig, bei einer ungeheuren sprachlichen Sensibilität. Leise vibrierend in der Lyrik und radikal mit Gewalt in ihrer Romantrilogie «Daskind», «Brandzauber» und «Angeklagt». Anfang September ist Mariella Mehr in Zürich gestorben

Mariella Mehr: Daskind – Brandzauber – Angeklagt (Romantrilogie), Limmat Verlag, S. 384. etwa Fr. 32.-

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Siehe auch Beitrag in «99 beste Schweizer Bücher», Verlag Nagel & Kimche