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Im Zickzack durch die Vergangenheit

Im Zickzack durch die Vergangenheit 

Mit Familiengeschichten ist das so eine Sache. Man kann ihnen nie trauen. Die Episoden verändern sich im Laufe der Zeit, nehmen je nach Erzählperspektive eine andere Färbung an. Manche Episoden werden ausgelassen, andere hinzugefügt. Die Wahrheit gibt es nicht. Vielmehr setzen sich Familiengeschichten aus einer Vielzahl von Wahrheiten zusammen, wie in einem Kaleidoskop, in dem die vielen durchsichtigen Glasplättchen immer neue Muster und Bilder ergeben – nie zweimal das Gleiche.

Auf eine solche Zeitreise nimmt die Autorin Rebekka Salm ihre Leser mit. Ihr zweiter Roman «Wie der Hase läuft» spielt zwischen geografischen und historischen Räumen und beginnt in einem Trödelladen, in dem Teresa arbeitet. Die Gegenstände und Objekte sind voller Erinnerungen und Geschichten, die Gebrauchsspuren verleihen dem Trödel Bedeutung.

Als Teresas Grossmutter in Amsterdam stirbt, stösst die Enkelin bei der Wohnungsauflösung auf Objekte und Gegenstände, die Teresa neugierig machen. Sie will verstehen, weshalb ihre Grossmutter im Zweiten Weltkrieg Hals über Kopf aus Amsterdam flüchtete. Die Spurensuche führt 1943 in die Bäckerei von Cees, der Juden versteckte, laut sang, um die deutschen Besatzer abzulenken, dann aber von einem jungen Nazi ertappt und erschossen wurde. Eine hochdramatische Szene, eindringlich und einfühlsam erzählt.

Darin liegt Rebekka Salms Talent: die verschiedenen Personen, Schicksale und Erzählstränge miteinander zu verweben und die Lücken in den Familiengeschichten sorgfältig zu füllen. Der Roman wirft auch die Frage auf, wie man persönlich mit unerwarteten Wahrheiten aus der Vergangenheit umgeht und was man aufs Spiel setzen kann, wenn die eigene Familie sich der Vergangenheit nicht stellen will. 

Rebekka Salm: Wie der Hase läuft. Knapp Verlag 2024. 196 S., ca. 30 Fr.

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