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POSTKARTEN BUCHTIPP: Die Frau weiss, was sie will
Im Januar 1887 kam Ricarda Huch nach Zürich. Es war eine Flucht. In Braunschweig, wo sie ihre Jugend verbracht hatte, war die Zweiundzwanzigjährige in eine schwierige Situation geraten. Sie hatte sich in ihren Schwager verliebt. Leidenschaftlich. Innerhalb der Familie führte das, wie man sich vorstellen kann, zu etwelchen Komplikationen, im biederen Provinzstädtchen war es ein Skandal.
Weg also, in die Schweiz. Sie schrieb sich nach der Matur an der Universität Zürich ein – damals eine der wenigen Universitäten, die Frauen zum Studium zuliess. Nach dem Studium der Geschichte und der Promotion unterrichtete sie an der Höheren Töchterschule und arbeitete in der Stadtbibliothek.
«Frühling in der Schweiz» schrieb die heute zu Unrecht in Vergessenheit geratene Erzählerin, Historikerin, Lyrikerin und Autorin philosophischer Werke 1938, erst Jahrzehnte und ein halbes Leben später. Das autobiografische Zeugnis einer jungen Frau, die weiss, was sie will. Und die neugewonnene Freiheit geniesst, in einer Stadt, in der sich junge Akademikerinnen und aus ganz Europa trafen. Es ist die Momentaufnahme einer Stadt in rascher Bewegung. Eine Sammlung liebenswerter, skurriler Geschichten über die Zürcher Gesellschaft Ende des 19. Jahrhunderts, in der die Freiheiten grösser waren, als man aus der Perspektive des frühen 21. Jahrhunderts denken würde. Auch für Frauen. Und in der sich Frauen doch immer wieder Hindernisse in den Weg stellten, von denen wir uns keine Begriffe machen.
Ricarda Huch erzählt ihre Zürcher Zeit aus dem Rückblick so spontan und lebendig, als wäre sie gerade erst vergangen.
Ricarda Huch: Frühling in der Schweiz. Jugenderinnerungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Ute Kröger. Limmat Verlag, Zürich 2022. 144 S. Fr. 34.-