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POSTKARTEN BUCHTIPP: Wenn es zum Verräblen ist
Singen möchte sie. Aber richtig, «im Salong», vor Publikum, nicht einfach nur so für sich im Stall vor den Kühen. So, dass am Ende alle klatschen. Es ist irgendwann im 19. Jahrhundert – Elsie arbeitet als Magd bei feinen Leuten. Und hat eine wunderschöne, eine magische Stimme. Das weiss Elsie, und sie wagt es, von einer grossen Zukunft zu träumen, auch wenn alles dagegen spricht. Manchmal wird Elsie vom Fernweh gepackt. Dann singt sie das Lied «vom Blüemlitaler Bauern, wo vor Heimweh in der Fremde verräblet». Sie weiss genau, wie das ist, wenn man meint, man verräble.
Die Tochter des Hauses überzeugt den Hausherrn, Elsie zu fördern. Der tut das. Aber dann schwängert er sie, und Elsie muss weg. Sie wird verheiratet, mit dem Pferdeknecht Jakob, die beiden werden abgeschoben auf einen minderen Pachthof. Mit dem Singen ist es wieder aus. Jakob hat seine Pläne, das Porzellan, das sie aus dem Herrenhaus mitnimmt, zerbricht, das Hochzeitskleid zerreisst. Elsie verliert ihr Kind, und ein Alltag beginnt, der so trist ist, dass zum Verräblen wäre. Wenn es die Musik nicht gäbe. Und einen Mann wie Rico, der Musik liebt. Aber auch das ist nicht mehr als eine Hoffnung.
Silvia Tschuis Erstlingsroman «Jakobs Ross» erschien vor zehn Jahren. Die Geschichte, die erzählt wird, ist umwerfend. Und die Sprache, in der die junge Zürcher Autorin schreibt, ist von einer Gewalt, der man sich schwer entziehen kann. Mehr Dialekt als Hochsprache, aber verfeinert zu einer Kunstsprache, in dem jeder Satz eine Kraft hat, als komme er von weither. Aus einer Zeit lange vor der unseren. Kein Wunder, dass «Jakobs Ross» verfilmt wurde. Mitte Januar kommt der Film in der Schweiz in die Kinos. Aber das sollte niemand davon abhalten, das Buch zu lesen.
Silvia Tschui: Jakobs Ross. Roman. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2014. 208 S., Fr. 26.90.