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POSTKARTEN BUCHTIPP: Lustvoll scheitern
Was hilft gegen Bedrücktheit? Gegen Eingesperrtsein in düsteren Gedanken? Neue Blicke, neue Wörter, neue Bezüge. Dies gelingt der Autorin und Dichterin Simone Lappert in ihrem ebenso magischen wie augenöffnenden Poesieband «längst fällige verwilderung». Der Untertitel «Gedichte und Gespinste» öffnet eine Welt, in der neue Kreationen wie «Händegeweih», Gewitterbäume», «Jetzthaut», «Zahnfleischlachen» oder «Splitterschweigen» entstehen. Es ist ein fruchtbare Welt, eine phantastische, eine inspirierende, wenn man mit Kopf und Augen nicht mehr klar sieht. Sei es zu Hause, Pandemie-bedingt wie die Poetin während des Zusammenstellen und Schreibens der Gedichte aus zum Teil unterschiedlichen Schaffensperiode, oder jetzt in einer Zeit der Unsicherheit und Krisen.
Leitmotivisch fragt Lappert: «entschuldigung, wo kann ich hier scheitern»: ungestört unbemerkt, ungebremst, unnahbar unversehrt? Und liefert gleich Antworten. Ihre blühende, leicht verschobene, sprachgewaltige Phantasie schafft neue Bilder und Wörter, die die Natur, Alltäglichkeiten, die Vergangenheit und das eigene Ich in eine andere Perspektive rücken. Das Scheitern schwingt überall mit, doch so schön, so inspirierend war es wohl nie. So heisst es in «Zukunft», den dunklen Zeitgeist aufnehmend:
es wird regnen, wenn wir uns wiedersehen,
bitter und lavendellos, wird uns den schlafsand
aus den augen wehen und konjunktive
aus dem mund: ausgestorbene schneckentiere,
am wegrand zu antiquitäten verkalkt,
zu nutzlosen blümchen aus stein.
Der Gedichtband von Simone Lappert ist eine poetische Lebensschule, die sich gegen Bedrückheit, Eingesperrtsein und düstere Gedanken wendet. Sie animiert uns zu scheitern, und zwar so richtig lustvoll.
Simone Lappert: «längst fällige verwilderung. gedichte und gespinste», Diogenes Verlag, 76 S., etwa Fr. 27.-