POSTKARTEN BUCHTIPP: Verschlungene Wege

Eigentlich kennt man die Irrwege, die Flüchtlinge auf sich nehmen, um in der Schweiz Schutz und Sicherheit zu suchen vor Verfolgung, Gefängnis, Folter. Sie kommen aus dem Balkan, aus Sri Lanka, dem Irak, aus Syrien, dem Sudan oder jetzt aus der Ukraine. Jedes Mal erzählen sie Geschichten von Verzweiflung, Angst und unsäglichem Leid, aber auch von Überlebenswillen. Usama Al Shahmani weiss als Iraker, was es bedeutet, als Intellektueller auf einer schwarzen Liste zu stehen und seine Heimat zu verlassen.

In seinem neusten Roman «Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt» beschreibt er die Lebensgeschichte des Tellerwäschers Dafar Schiehan. Er lebt in Kreuzlingen, wandert in Wäldern und entlang von Flüssen, Sinnbilder der Freiheit, und lässt sein Leben Revue passieren: seine Kindheit, sein Leben an der Universität, seine Freunde, aber auch die Angst vor den Spitzeln des Terrorregimes, seine ersten Schreibversuche und das fatale Theaterstück, für das Dafer gesucht wird. Er hat nur einen Ausweg: die Flucht aus dem Irak, die ihn in die Schweiz bringt, wo er Deutsch lernt, um seinen Chancen auf einen Verbleib zu erhöhen, und es schafft.

«Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt» ist eine poetische Reise eines Suchenden, eines unfreiwillig Flüchtenden, der das Beste aus zwei Welten sucht und findet. Aus den kleinen Fundstücken, seien es Erinnerungen, Freundschaften, Begegnungen oder Reflexionen über Leben und Menschsein, zehrt er eine Lebensenergie, die ihm hilft, die Widrigkeiten und Rückschläge, auch in der Schweiz, zu überwinden. Usama Al Shahmani hat ein wichtiges, ein urmenschliches Buch geschrieben über das Verschwinden der Heimat, das Überleben und den Drang der Menschen, frei zu sein im Denken und im Handeln.

Usama Al Shahmani: «Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt». Limmat Verlag 2022, 176 S., Fr. 30.-.

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