POSTKARTEN BUCHTIPP: Der Glanz der kleinen Sprachen

Mit 39 Jahren steht der Gymilehrer Ingmar Saidl am Rand des Zusammenbruchs. Fast vierzig Verlage haben seine Manuskripte abgelehnt, die Demütigungen nagen an seiner Selbstachtung, bis er im Klassenzimmer ausrastet und eine Auszeit erzwingt. In Istrien, wo er Zuflucht sucht, begegnet er Nada, die einen Bioladen führt – und die ihn, mit ihrer Bodenständigkeit und Klarheit, davor bewahrt, im Strudel der Kränkung unterzugehen.

Hier stösst Ingmar auf das Istrorumänische oder Zejanische, eine vom Aussterben bedrohte Sprache, die nur noch in wenigen Dörfern gesprochen wird. Saidl erkennt darin eine Chance: Er erfindet eine alte Legende und gibt sie als Übersetzung aus. Der Trick funktioniert – «Matija Katun und seine Söhne» wird als literarische Sensation gefeiert. 

Der Autor Karl Rühmann legt in diesen Passagen offen, dass auf dem Buchmarkt nicht nur die Qualität zählt, sondern ebenso die «Verpackung»: die Aura des Exotischen, das Etikett aus einer verschwindenden Sprache übersetzt, bringt Ingmar den lange ersehnten Erfolg. 

Doch dieser Erfolg bleibt hohl. Unter eigenem Namen blieb Ingmar unsichtbar. Zwar jubeln alle – seine Verlegerin und die Feuilletons – nur nicht ihm als Autor, sondern ihm als «Übersetzer». Besonders bitter ist die Haltung seines Vaters, eines emeritierten Astrophysikers, zu dem Ingmar eine angespannte Beziehung hat. Der Vater ist stolz auf die vermeintliche Übersetzung, obwohl Ingmar weiss, dass dieser Stolz auf einer Lüge gründet.

Rühmann erzählt die vielschichtige Geschichte mit feinem Ohr für menschliche Zwischentöne. Er zeigt, wie die Mechanismen des Literaturbetriebs mit Sehnsüchten verschränkt sind, und wie der Wunsch nach Anerkennung in Selbstbetrug kippen kann. Zugleich aber blitzt Hoffnung auf: im Widerstand kleiner Sprachen gegen das Verstummen, und in Nada und ihren kroatischen Freunden, die Ingmar zurück ins Leben ziehen. «Matija Katun und seine Söhne» ist ein gut erzählter Roman über die Verführung des Erfolgs und die Kraft berührender Literatur. 

Karl Rühmann: «Matija Katun und seine Söhne». rüffer & rub, Zürich 2025. 288 Seiten, CHF 28.–

 

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