POSTKARTEN-BUCHTIPP:
Eine Welt voller Widersprüche

Schon lange vor der Pandemie entwickelten sich im populären Erzählen zwei scheinbar gegenläufige Tendenzen: Auf der einen Seite wird in bergeweise dystopischen Romanen die Obsession für die Apokalypse kultiviert, auf der anderen Seite sollen Teenager, inspiriert von Greta Thunberg, für Rettung sorgen, oder zumindest etwas Licht in die düsteren Zukunftsaussichten bringen. 

Die Zürcher Astrophysikerin Simone Weinmann hat einen dystopischen Roman geschrieben, der beides verbindet und beides kritisch hinterfragt. Ihre beiden jugendlichen Protagonisten müssen nicht das ganze Gewicht der Welt schultern, nachdem diese nach einem missglückten Versuch, den Klimawandel zu stoppen, erkaltet und verödet ist. Doch sie entdecken ihre eigene Geschichte und damit ihre mögliche Zukunft neu. «Die Erinnerung an unbekannte Städte» ist so genau gebaut, dass diese zerstörte Welt, in der wir als Leserinnen und Leser zunächst orientierungslos herumtappen, allmählich ihre Schönheit und Poesie offenbart. Dabei fängt Weinmann eine Spannung auf, die prägend ist für die Gegenwart und ihre Konflikte, nämlich die Spannung zwischen dem Wunsch, die Welt möglichst so zu erhalten, wie sie ist, beziehungsweise den Fortschritt weiterzutreiben, und der Sehnsucht, dass es einen Ausgang aus der ständig wachsenden Komplexität und technologischen Abhängigkeit geben möge. Diese Widersprüche spinnt der Roman spekulativ weiter – und baut daraus eine ganz eigene, faszinierende Welt. 

Simone Weinmann: Die Erinnerung an unbekannte Städte. Roman,  Verlag Antje Kunstmann, 272 S., ca. Fr. 35.-