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Der unbeschreibliche Vater

Der Vater ist tot. Was bleibt, sind Erinnerungen. Und das, was der Vater hinterlassen hat. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Tod von Traugott Z. macht sich seine Tochter daran, den schriftlichen Nachlass zu sichten. Er liegt im Staatsarchiv Uri: publizierte Artikel, Tagebucheinträge, Briefe und eine Fülle von handschriftlichen Notizen. Alle kreisen um eine sonderbare Kosmologie. Wechselwirkungen im Universum. Im Mittelpunkt die Idee, dass der Kosmos von einem allumfassenden Bewusstsein erfüllt ist. Von Gott. Aber einem Gott, der naturwissenschaftlich beweisbar ist.

Amséls Roman «Die Erfindung des Vaters» erzählt vom Versuch einer Frau, einem Vater näherzukommen, der für sie stets etwas Fernes, Fremdes hatte. Die Autorin, mit bürgerlichem Namen Franziska Selma Muheim, skizziert das Bild eines Menschen, der ihr nahe stand, über den sie aber nicht viel wusste. Sie erinnert sich, dass er oft vom Unbeschreiblichen sprach, von Dingen, die sich unserem Wissen entziehen und die gerade deshalb dazu herausfordern, sie zu ergründen. Dabei war Traugott Z. Physiker. Ein Mann also, der nur dem vertraut, was sich beweisen lässt. Er gab sich nicht mit dem Ungefähren zufrieden. Aber war davon überzeugt, dass auch das, was wir nicht verstehen, verstanden werden kann.

Je mehr sich die Tochter durch das Archivmaterial wühlt, desto verzweifelter wird sie. Statt Antworten zu finden, stösst sie nur auf weitere Fragen. «Was mache ich hier eigentlich?», denkt sie. Manchmal ist sie überzeugt, der Vater sei einfach verrückt gewesen. Und fragt sich: «Was habe ich mit ihm zu tun?» Das auf mehreren Zeitebenen spielende Buch entwirft das Mosaik eines Menschen, der darum gerungen hat, etwas von der Welt zu verstehen. «Die Erfindung meines Vaters» basiert auf Tatsachen. Es liest sich wie ein Krimi. Ganz nebenbei lernt man einiges über die Wechselwirkungskosmologie des Urner Physikers Jules Traugott Muheim (1934-1997). Und erfährt, was es mit der Zahl 137 auf sich hat.

 

Amsél: Die Erfindung meines Vaters. Roman. Verlag die Brotsuppe, Biel 2024. 252 S., etwa Fr. 30.-

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