POSTKARTEN BUCHTIPP: Riss in der Wirklichkeit

Riss in der Wirklichkeit

Bereits der Titel von Adam Schwarz’ Roman «Glitsch» führt aufs Glatteis. Léon ist mit seiner Freundin Kathrin per Kreuzfahrtschiff durch das Nordpolarmeer unterwegs nach Japan. Kathrin verschwindet nach einem Streit, und Léon sucht sie über die folgenden, endlosen Tage. Das gigantische Schiff bewegt sich unaufhaltsam ostwärts. Der Autor treibt die absurde Situation des Herumirrens in dem zunehmend klaustrophobisch anmutenden Kreuzfahrtschiff wortgewandt voran. Er lässt Léon nach dem Kiffen traumwandlerische Entdeckungen machen und über schlüpfrige Algen rutschen, die sich in seiner fensterlosen Kajüte ausbreiten. Haben diese glitschigen Algen eine Bewandtnis mit dem Buchtitel? 

Léon simmert lethargisch durch die Tage, schlägt die Zeit tot beim Gamen und bei Internetrecherchen über verschwundene Passagiere. Die Realität bekommt Risse. Da stösst er auf eine obskure Lektüre, in der sich die «Ausgewählten» von unserer Welt verabschieden und im Meer wiederfinden zu einer zukunftsweisenden Gemeinschaft, die ohne Worte auskommt. Léon ist wie elektrisiert über diese Vision. Parallel spielt er verbissen das Game «The Somber Prophecy» und scheitert in seinen fieberhaften Versuchen immer und immer wieder. Den Lesenden kommen Begriffe unter wie «Glitch» oder «NPC»: Der «Non-Player-Character» ist eine von Künstlicher Intelligenz kontrollierte Spielfigur, die das Spiel akzentuiert, während «Glitch» im Netzjargon einen Fehler im Computerspiel bedeutet. Sind Léon und Kathrin Spielverderber bei einer Illusion, in der sich Realität und virtuelle Welt zusehends vermischen?

Adam Schwarz leitet einem Programmierer gleich seine Leserschaft in einer wuchtigen Wortflut an. Man taucht ein in die Erzählung, erklimmt Level um Level und steuert auf das apokalyptische Ende zu. (gg).

Adam Schwarz: Glitsch. Zytglogge Verlag, S. 292, etwa Fr. 32.-

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