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Krimineller Glanz und Schatten
«Ein beklemmender Druck legte sich auf sie, als sie mit ihrem Dietrichsatz die 214 entriegelte.» Die Situation ist mit dem Einstiegssatz in Christine Jaeggis Krimi «Die Meisterdiebin» klar: Die Lesenden schauen einer Diebin über die Schulter – und werden insgeheim zu Komplizen. Doch damit hat es sich mit der Klarheit, denn hier geht es um die Verschiebung von Recht und Unrecht, Gut und Böse. Wien, 1930er Jahre, «Anschluss» an Nazideutschland, «Enteignung» genannter Diebstahl von jüdischem Besitz, Heim, später Leben. Ungläubigkeit, Erniedrigung, Auflehnung, Angst, Scham, Wut, Hass. Die Reaktionen der jüdischen Österreicher sind vielfältig und heute wissen wir, dass sie wegen des Unrechts ohne Flucht kaum überleben werden.
In diesen historischen Kontext bettet die Autorin die Lebensgeschichte von Elise, einer wohlhabenden jüdischen Kaufhauserbin, und schildert alltäglich wachsende Situationen, wie in der befreundeten Tischgesellschaft plötzlich über Juden hergezogen und Nazi-Gedankengut verbreitet wird. Elise flüchtet in die Schweiz, nachdem die Nationalsozialisten ihr alles gestohlen haben, und steht vor einem Dilemma: Als Emigrantin steht ihr keinerlei Arbeitsbewilligung zu, gleichzeitig droht ihr Ausweisung, sollte sie «armengenössig» werden. Zudem will Elise Rache nehmen. Sie begibt sich als Juwelendiebin auf eine Tour durch die Schweizer Luxushotels, wo Nazigrössen und -sympathisanten ihren Urlaub geniessen.
💍Christine Jaeggis Kriminalroman beruht auf einer wahren Geschichte: Von 1936 bis 1945 erbeutete eine Meisterdiebin in Schweizer Luxushotels Schmuck und Wertgegenstände im Gesamtwert von heute umgerechnet rund 3,5 Millionen Franken. Die Autorin verflicht Lebenswege, Zeitgeschichte, Spannung und Fiktion zu einem teils beklemmenden, überaus unterhaltsamen Panorama.
Christine Jaeggi: Die Meisterdiebin. Zytglogge Verlag, 2025. S. 392, etwa Fr. 29.- -.