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Projekt Grössenwahn
Projekt Grössenwahn
In «Afrika fluten» nimmt sich Christoph Keller eines faszinierenden, aber auch erschreckenden Kapitels europäischer Technikgeschichte an: das utopische Projekt «Atlantropa» aus den 1920er Jahren. Der deutsche Architekt Herman Sörgel und der Schweizer Ingenieur Bruno Siegwart wollten das Mittelmeer durch gigantische Staudämme vom Atlantik trennen und den Meeresspiegel drastisch absenken. Ihr Ziel: Europa und Afrika als Einheitskontinent zu verbinden und die europäische Industrie mit erneuerbarer Energie aus Turbinenparks zu versorgen. Die Kehrseite? Die Überflutung grosser Landstriche in Afrika und die Zerstörung der dortigen Lebensräume – ohne Rücksicht auf die betroffenen Menschen.
Keller gelingt es, die ideologische Verirrung dieser Technologie-verblendeten Protagonisten eindrucksvoll darzustellen. Die historische Reportage zeigt, wie wenig Sörgel und Siegwart vor den verheerenden Folgen ihres Plans zurückschreckten und wie Afrika für sie lediglich als Ressource diente. Keller zeichnet ein scharfes Bild der kolonialen und rassistischen Denkmuster, die diesen Grössenwahn befeuerten. Besonders stark sind die Verknüpfungen von historischen Fakten mit aktuellen Debatten über Klimakolonialismus. Keller zieht überzeugende Parallelen zu heutigen Projekten und Konzernen.
Zwar wirken die fiktiven Begegnungen zwischen den Zeitreisenden Lovis und Siegwart gelegentlich hölzern, doch sie bieten interessante Reflexionsräume über Macht und Verantwortung. Der Roman besticht durch seine Relevanz und lässt nicht kalt – vor allem in seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Hybris technischer Visionen und ihrer fortwährenden Wirkung auf die Gegenwart.
Christoph Keller: Afrika fluten. Rotpunktverlag Edition Blau, 2023. 248 S., etwa Fr. 28.-.
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Visualisierung Projekt Atlantropa