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Alle drehen durch

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Basel schwitzt. Es ist unerträglich heiss, niemand kann mehr klar denken, weder die Politiker, noch die Bundesbeamten oder die Kriminalkommissare. Die Ventilatoren geben ihren Geist auf. Es ist 1983, mitten im Kalten Krieg. Der tragikomische Roman «1983 – Verfluchte Hitze» von Lukas Holliger verwebt drei historische Ereignisse des Jahres miteinander: den Skandal um die Berner Novosti-Agentur, den spektakulären Fall einer Basler Spionin in sowjetischen Diensten und den Mord an einem Hellseher. Es öffnet sich ein faszinierendes, leicht überdrehtes oder eben überhitztes Panorama vor den Augen.

Die Handlung beginnt in der engen Gasse hinter dem Marktplatz, zwischen alten Fachwerkhäusern, mit dem russischen Hellseher Danilo Gromow, der leblos in seiner düsteren Villa liegt. Ausgerechnet Kriminalkommissär Heiner Glut, der tags zuvor einen Wald in Brand gesteckt hat, wird mit der Aufklärung des Falls betraut. Sein einziger Hinweis ist der Eintrag «Novosti» in Gromows Agenda. Hat der dubiose Prophet die Berner Filiale der sowjetischen Nachrichtenagentur Novosti unterstützt? Der freisinnige Bundesrat Rudolf Friedrich steht kurz davor, diese zu schliessen. Es hagelt Proteste, die Strasse tobt, die Medien rufen Skandal.

Holliger verdichtet diese historischen Fakten zu einer packenden Erzählung. 1983 streitet Europa über den Nato-Doppelbeschluss. Nenas «99 Luftballons» erklingen in Dauerschleife. Die Temperaturen steigen erstmals auf 40 Grad. Inmitten dieser Kulisse brillieren die lebendigen, skurrilen Romanfiguren mit pointierten Aussagen und witzigen Dialogen. Holliger verknüpft geschickt Realität und Fiktion. Die Fakten wirken nie aufgesetzt, sondern untermalen den politischen und gesellschaftlichen Zeitgeist. «1983 – Verfluchte Hitze» ist eine grossartige und witzige literarische Zeitreise mitten in den Kalten Krieg.

Lukas Holliger: 1983 – Verfluchte Hitze. Rotpunkt Verlag, 224 S., rund Fr. 31.-

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