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Totenstill im Gebirge

Ein blutiges Messer fest umklammert, torkelt die verletzte junge Frau durch die Vollmondnacht im Bündner Hochtal Sapün auf die abgeschiedene Berghütte der Polizistin zu. Ist sie gefährlich oder in Gefahr?
Kriminalromane mit Lokalkolorit liegen hoch im Kurs und verfügen über touristisches Potenzial, sei es in Venedig, der Bretagne oder in der Schweiz. Die Autoren allerdings kommen oft von auswärts und verarbeiten die Örtlichkeiten und Eigenheiten mal mehr, mal weniger packend ihre Romane. Philipp Gurt hat mit «Bündner Abendrot» einen Krimi geschrieben, der durch seine Atmosphäre überzeugt. Der Bündner kennt die zerklüfteten Berggipfel, die erhabenen Ausblicke, die bedrohlichen Felsstürze, das äsende Wild, raue Wetterumschwünge, die Jagd, die atemberaubende Stille, die Menschen und ihre Schicksale.
Die Wurzeln seiner Ermittlerin Giulia de Medici liegen in Italien, doch sind sie inzwischen fest im Bündner Fels verankert. Einzelne Verdächtige, Täterinnen oder vermeintliche Täter haben bei Philipp Gurt den Halt verloren. Er zeichnet sie vorurteilslos, blickt zurück auf falsch gewählte Abzweigungen im Leben und die Folgen von persönlichen Tragödien. Gurt bietet ihnen Chancen, das Leben doch noch zu meistern… Es sind die Erfahrungen der eigenen Biographie, die den Vernachlässigten Respekt und Sorgfalt zollen. Auch selbstgerechte, knorrige und engagierte Protagonistinnen und Protagonisten kreuzen die Klingen oder gehen sich wie seit jeher aus dem Wege. Mit Vor- und Rückblenden sowie wechselnden Perspektiven verwebt der Autor die Stränge seiner Geschichte gekonnt zu einem spannenden Kriminalroman ohne lose Enden.
Polizistin de Medici nimmt die Fährte der verletzten Messerstecherin auf und trifft auf eine Tote im Bergsee, später eine zweite. Hängt die Mordserie mit den jahrzehntealten Fällen in der Linthebene zusammen? Die Alpweiden mögen friedlich wirken, manchmal geheimnisvoll. Gefährlich werden die Bergbewohner, wenn ihre gehüteten Geheimnisse gelüftet werden. In «Bündner Abendrot» ermittelt Giulia de Medici zum fünften Mal, diesmal im Kampa Verlag und sprachlich am überzeugendsten. Stürmisch, störrisch und stolz agiert die Chefermittlerin der Kantonspolizei Graubünden und erinnert an das Bündner Wappentier.

Bündner Abendrot. Ein Fall für Giulia de Medici. Kriminalroman. Kampa Verlag, 352 S., Fr. 21.90

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