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Einfach eine Rose einatmen
Einfach eine Rose einatmen
Was macht die Faszination des Lesens aus? Geschichten, die packen, Figuren, die irrlichten, Umstände, die Fragen aufwerfen, Schicksale, die verunsichern, Sätze, die betören, Texte, die rastlos schwingen, Worte, die schreien, Zwischenräume, die die Phantasie befeuern, Bilder, die sich eingravieren, Sätze, die in Schönheit fliessen, Buchstaben, die explodieren, Landschaften, die verzaubern. All dies findet sich in Romanen, Erzählungen, Novellen und in knapper und prägnanter Form in der Poesie.
Vor über zehn Jahren hat Roger Perret die Anthologie «Moderne Poesie in der Schweiz» herausgegeben – und sie ist nach wie vor eine funkelnde Schatzkiste mit aussergewöhnlichen Trouvaillen, die das Lesen und das Leben bereichern. Die über 630-seitige Zusammenstellung hat nichts mit einem lieblos zusammengestellten Gedichtband zu tun, den wir aus der Schulzeit kennen. Roger Perret gruppiert die literarischen Preziosen in Kapiteln, deren Titel bereits poetische Kleinode sind.
Faszinierend ist die Auswahl der Gedichte, die auch Songtexte, Textbilder, Klangbilder oder Buchstabensuppen umfasst. Sie kann als exzentrisch und genial bezeichnet werden. Da die Texte nicht einer Chronologie unterworfen sind, ergeben sich unerwartete Konstellationen und Resonanzräume. Roger Perret geht volles Risiko ein – und dieses zahlt sich für die Lesenden aus.
Die Sammlung vereint etwa 600 Werke von 250 bekannten, unbekannten und vergessenen Autorinnen und Autoren, teils zweisprachig, wobei viele Texte erstmals ins Deutsche übersetzt wurden. Dadurch ist «Moderne Poesie in der Schweiz» auch ein beeindruckendes editorisches Werk und Zeugnis der Kunst des Übersetzens. Die Anthologie bietet ein faszinierendes Panorama lyrischen Schaffens seit 1900 und vor allem ein immenses Lesevergnügen mit grossartigen Texten und Entdeckungen.
Roger Perret (Hrsg.): «Moderne Poesie in der Schweiz». Limmat Verlag 2013. 640 S., rund Fr. 58.-