POSTKARTEN-BUCHTIPP :
Was Wahrheit sein könnte

Sie fährt ins Tessin. Zum letzten Mal in ihrem Leben. Ihr Mann ist tot, sie fühlt sich einsam. Und dann sind da die Erinnerungen. Immer wieder: der Eichmann-Prozess. Das war vor vierzehn Jahren, Hannah Arendt hat die Verhandlungen verfolgt. Vom ersten bis zum letzten Tag. Und hat geschrieben. Über SS-Obersturmführer Adolf Eichmann, den unscheinbaren, peinlich biederen Mann, der auf der Anklagebank sass, in einem Glaskasten, und nur immer das eine sagte: er sei unschuldig. Vierzehn Jahre ist das her, als Hannah Arendt im Sommer 1975 ins Tessin reist und zurückdenkt an das, was ihr Leben ausmachte: an die Orte, an denen sie gelebt hat, die Menschen, die sie liebte. An die Gespräche, die sie führte, an die Irrtümer, die das Denken formen. Und an das, was Wahrheit sein könnte: «der Grund, auf dem wir stehen, und der Himmel, der sich über uns erstreckt». In «Was wir scheinen» macht die in Zürich lehrende Germanistin Hildegard Elisabeth Keller die grosse Philosophin Hannah Arendt zur Protagonistin eines Romans über Leben und Denken. Und darüber, was die beiden verbindet.

Hildegard E. Keller: Was wir scheinen. Roman. Eichborn-Verlag. 576 S., Fr. 33.90.